Professor Selman Selmanagic an die VEB Deutsche Werkstätten Dresden-Hellerau, 16.12.1966
Liebe Kollegen der Deutschen Werkstätten!
Im Monat Dezember vor 20 Jahren fing ich an, als sogenannter Hausarchitekt für Ihr Werk zu arbeiten. Und weil es bei uns so üblich ist, Jubiläen und Jahrestage mit Erinnerungen an die Vergangenheit zu begehen, richte ich diesen Brief an Sie.
Vor 20 Jahren wurde ich durch den von mir hochgeschätzten Direktor Genossen Alfred Hahn bei Ihnen eingeführt. Es war nicht mehr viel an materiellen Werten, was der Krieg übrig gelassen hatte. Aber das Wichtigste war vorhanden: Die Idee und der Wille zum Neuaufbau allen Schwierigkeiten zum Trotz! Dazu kam und kommt noch heute der gute menschliche Kontakt zwischen den Kollegen.
Es war sicher nicht leicht, wieder von vorn zu beginnen, denn überall herrschte Mangel selbst an den primitivsten Dingen. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass die Rückenlehnen zum AST 11 ursprünglich aus Sperrholzteilen hergestellt wurden, die im Kriege für V-1-Geschosse bestimmt gewesen waren. So dienten sie endlich einem nutzbringenden Zweck, nicht mehr der Zerstörung.
In den vergangenen 20 Jahren haben wir gemeinsam zahlreiche Einrichtungen und Möbel für unterschiedlichste Institute, Hochschulen, Universitäten, Ausstellungen, Messen, Einzelzimmer und Hunderte von Modellen für Einzelmöbel ausgeführt. Einige Modelle sind sogar tausend-, zehntausend-, ja hunderttausendfach produziert worden, wie z. B. der verformte Sessel. Dabei war von Anfang an unsere Parole, gute Qualität bei entsprechender Kalkulation einzuhalten. Durch Rationalisierung in der Fertigung, aber auch durch Entwürfe, die dem Rechnung trugen, konnte im Laufe der Zeit die Qualität sogar noch gesteigert und der Preis gesenkt werden. Und der Erfolg gab Ihnen recht, denn „Ladenhüter“ dürfte es bei Ihnen nicht gegeben haben und wird es sicher auch in Zukunft nicht geben.
Andererseits waren aber meines Erachtens diese Erfolge nur möglich, weil Arbeiter, Werkleitung und Hausarchitekt als wahres sozialistisches Kollektiv zusammengearbeitet haben. Wie ein Wunder kommt es mir heute vor, daß wir nie einen richtigen Krach miteinander hatten, wenn es um die Modelle ging. Wir müssen schon recht gut zusammengearbeitet haben, denn solche Ruhe entspricht sonst gar nicht meinem Temperament.
Es ist erfreulich zu sehen, daß die von uns damals begonnene Linie für Einrichtungen und Möbel noch nicht überholt ist, sondern im Gegenteil sogar von anderen Ländern – gut oder schlecht – kopiert wird. Ich habe in den letzten Jahren viele begabte Jungs ausgebildet, die in der Lage sind, diese Linie weiter zu verfolgen. Für Nachwuchs ist also gesorgt. Es wäre vielleicht jetzt schon an der Zeit, diesen Architekten in Kooperationsbetrieben der Deutschen Werkstätten Aufgaben zu geben, damit sie ihre Fähigkeiten beweisen können.
Ich habe allerdings selbst auch noch einige Ideen auf Lager, wie die kürzlich übersandten Modelle beweisen. Beginnen wir also die nächsten hundert Jahre in alter Frische und mit noch besseren Möbeln für unsere sozialistische Gesellschaft.
Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Feiertage und ein erfolgreiches neues Jahr.
Prof. Selmanagic
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